Stau und Lärm für Bewohner eine Belastung

Die Innenstadt-Achsen Fressgasse, Marktstraße und Kunststraße sind für Bewohner*innen im Sommer eher ein Albtraum. Rücksichtslose Poser sind jetzt, wenn es warm wird, wieder in Massen unterwegs und ziehen lautstark ihre Kreise durch Mannheims Innenstadt. Für viele, die in der Innenstadt wohnen, inzwischen eine „unerträgliche Situation“, sagt Hannes Köppel, der mit Frau und Kind in F1 an der Marktstraße wohnt. Mannheim retro? Eine Autostadt?

Statt posen wird gehupt

Köppels Frau lehrt an der Universität und erzählt von ihren Studenten, die Mannheim für einen wenig attraktiven Studienort halten: zu laut, zu dreckig, zu wenig Grün, halt eine Autostadt.

Hannes Köppel berichtet von Hupkonzerten, die vor allem wochenends abends gegen 20 Uhr beginnen und regelmäßig bis nach Mitternacht anhalten. In der Marktstraße sei Dauerstau, weil der Verkehr einfach nicht fließt. Die Situation habe sich nach dem Verkehrsversuch und seit aus zwei Spuren eine wurde, noch verschärft. „Ich verstehe die Position des Einzelhandels nicht. Der stehende Verkehr bringt doch keinem Geschäft! Aber die wohnen ja alle nicht hier“, sagt Köppel. In diesem Jahr sei die Kommunikation über die Auto-Hupe extrem. Sie hätte die protzigen Poser abgelöst. Seine Bilanz für die Marktstraße: 1. Der Lärm beginnt früher als sonst. 2. Statt posen wird jetzt gehupt. 3. Die Gegebenheiten nach dem Verkehrsversuch haben den Verkehrsfluss verschlechtert, ohne dass vernünftige Lösungen zum Abfluss des Verkehrs geschaffen wurden. 4. Man fragt sich, warum überhaupt so viel Individualverkehr in der Innenstadt zugelassen wird. 5. Hat denn die Stadt keine Verantwortung, um eine unnötige gesundheitliche Belastung (Lärm, Abgase) der Anwohner abzustellen?  

Stau vom Reißengelhorn-Museum bis zum Wasserturm

Ronnie Boland, der in O4,1 das Boland‘s mit Außenbereich betreibt, kann über manchen Fahrer wie auch seine Gäste im Außenbereich nur den Kopf schütteln. „Mir ist aufgefallen, dass es viele Staus gibt, das bekommt man mit, wenn der Rettungswagen durchfährt. Es sind viele teure Autos mit lautem Auspuff dabei. Die geben teilweise nach der Ampel richtig Gas, auch um Aufmerksamkeit zu erheischen. Dies ist völlig überflüssig. Ich verstehe, dass das die Leute im Binokel stört, bei mir schütteln die Gäste wie gesagt den Kopf. Die Bodenschwelle vor dem Engelhorn trägt aus seiner Sicht allerhöchstens dazu bei, dass manche ihr Tempo etwas verlangsamen.

Sabina Bopp wohnt mit ihrem Mann Wolfgang Schmidt in D3. Wir kamen aus Heidelberg und haben die Wohnung damals gekauft, weil wir Mannheim toll finden. Eigentlich. Und natürlich sei ihnen klar gewesen, dass Leben in der Stadt ist. Bopps Wohnzimmer und zwei Balkone sind in Richtung Kunststraße. Seit vielen Jahren nachts diesen unsinnigen Verkehr zu ertragen, sei ein echter Grund so eine Kauf-Entscheidung zu bereuen. „Wir bekommen den Stau in der Kunststraße besonders nachts an Wochenenden mit, das geht vom Reiß-Engelhorn-Museum bis zum Wasserturm.
Es wird von Quadrat zu Quadrat aufgedreht. Freitag und Samstag ab 20 Uhr bis weit nach Mitternacht finden wir hier keine Ruhe mehr. Und wer will schon im Sommer, wenn es warm wird, immer die Fenster geschlossen lassen?“ Bopp sieht keinen Sinn darin, dass Menschen in Mannheim freie Fahrt haben, die nachts zum Staustehen im Kreis herumfahren, mit Imponiergehabe, mit rücksichtsloser Huperei und lauten Motoren. „Wenn die Stadt die Diversität aufrechterhalten will, muss sie dringend etwas tun“, sagt Bopp.

Beide Köppel und Bopp sind der Ansicht, dass nach Ladenschluss der zirkulierende Verkehr unattraktiv werden muss. Das geht nur, wenn Durchfahrten konsequent unterbrochen werden.

Schutz der Gesundheit gefordert

Wolllfried Wenneis, ist Eigentümer einer Immobilie in O7,2. Er beobachtet, dass seit den warmen Abenden der letzten Wochen mindestens ab Donnerstagabend wieder massenhaft Poser und sonstige Krachmacher unterwegs sind. „Diese Menschen lassen sich auch nicht vom aufgepflasterten Übergang bei Engelhorn beeindrucken“, so Wenneis.

Wenneis wie auch Köppel und Bopp finden, dass es völlig unzumutbar ist, dass Bewohner*innen von der Polizei aufgefordert werden, nächtliche Störungen durch lärmende Fahrzeuge ständig genau zu dokumentieren, bevor etwas unternommen wird. „Es ist eine ureigene Aufgabe der Gemeinden, die Bewohnerinnen und Bewohner vor gesundheitsgefährdendem Lärm und Autoabgasen zu schützen.“ Der kürzlich vorgestellte Lärmaktionsplan enthalte leider auch keine Lösung.

Er fordert, den ehemaligen Blitzer in N 7 wieder in Betrieb zu nehmen. Auch müssten die nächtlichen Durchfahrten durch Fressgasse und Kunststraße beispielsweise durch Sperrungen ab 21 Uhr unterbunden werden. „Ich hoffe, dass im ‚Windschatten‘ des Fressgassen-Projekts auch an eine Lösung für die Kunststraße gedacht wird, bevor sich die Empörung der Bewohnerinnen und Bewohner – wie bereits vor zehn Jahren geschehen – in einer Unterschriftensammlung manifestiert.“

Es muss sich dringend was ändern

Für Jutta Schroth, die Vorsitzende des Bürgervereins Innenstadt West Mannheim e.V., steht vor allem die Gesundheit der Bewohnenden im Vordergrund. Sie ist der Meinung, dass bei der Stadt längst hätten Konsequenzen folgen müssen, und zwar solche, „die keine zwei Jahre dauern.“ Am einfachsten wäre es, die einmal in der Pandemie installierte Schranke in der Fressgasse ab 22 Uhr wieder zu aktivieren. Das würde aus ihrer Sicht das Zirkulieren auch in den anderen Straßen stoppen“, sagt sie. Über 20.000 Innenstadtbewohner*innen seien eine Bereicherung für die Stadt. Sie verstehe deshalb nicht, warum deren Wohlbefinden immer nur belächelt werde.

Wolfgang Ockert, lange Jahre Vorsitzender des Bürgervereins Östliche Innenstadt, wohnt in Q 1. Er engagiert sich auch in der City Factory von FutuRaum und hat an den Varianten zur Beruhigung der Fressgasse mitgearbeitet. Er befürwortet für die Fressgasse eine Lösung mit durchgängig Tempo 20, einer damit verbundenen Rechts-vor-links-Regelung und einem Multistreifen für Lieferverkehr, Außengastro und Fahrräder. Für die Poser-Szene sei die Fressgasse nicht ganz so attraktiv, weil dort die Außengastronomie viel an die Einzelhandel-Öffnungszeiten gekoppelt sei. Das ist tagsüber.
Anders in den Abend- und Nachtstunden besonders Freitag und Samstag. „Hier muss sich dringend etwas ändern“, sagt Ockert. „Der Druck verstärkt sich. Das erleben wir jetzt bereits im Frühjahr, wo der Lärm in den Nachtstunden nahezu unerträglich ist. Hier muss man offensiv denken, ob nicht eine nächtliche Sperrung Abhilfe schaffen kann. Wir haben schon viele Ideen gehabt, keine hat gefruchtet.“  Auch Ockert kann sich vorstellen, dass die vorhandene Schranke hilft, den Zirkulationsverkehr zu reduzieren.

Fünf Minuten Spaß für fünf Stunden Stress

Benjamin Hopkins, Sprecher eines Teils der Poserszene, der sich auch an der Kampagne gegen rücksichtsloses Verhalten beteiligt hat, wohnt in K2. „Inzwischen ist es total absurd, es bilden sich immer neue Gruppen“, sagt er. Er fordert ein konsequentes Durchgreifen der Polizei, da die meisten Fahrer laut Kennzeichen nicht aus Mannheim stammen, sondern aus dem Umland kommen und offensichtlich ihre Langeweile in der Stadt ausleben. „Fünf Minuten Spaß für fünf Stunden Stress bei den Bewohnern und Anliegern – das ist nicht vertretbar“, betont Hopkins.

Aus seiner Sicht müsste die Sonderkommission Poser verstärkt zu Fuß unterwegs sein, um Präsenz zu zeigen und gezielt an verschiedenen Einfallstraßen Fahrer herauszugreifen. Die Idee dahinter: Wenn die Polizei nicht nur an bekannten Stellen präsent ist, sondern flexibel entlang ganzer Straßen agiert, könnten Lärmverursacher nicht gezielt leiser werden. Durch die Möglichkeit, jederzeit und überall einzugreifen, würde die Effektivität gesteigert und gleichzeitig das Sicherheitsgefühl der Anwohner verbessert. Hopkins beobachtet regelmäßig, dass Polizeifahrzeuge in den bekannten Straßen oft über 30 Minuten im Stau stehen. Zwar herrsche vor und hinter den Einsatzfahrzeugen kurzfristig Ruhe, doch die Effektivität der Maßnahmen leidet stark, wenn die Polizei selbst im Verkehr feststeckt.

Ein weiterer Vorschlag von Hopkins ist, Lehrstunden anzubieten, um den Fahrern klarzumachen, welche Auswirkungen ihr Verhalten auf die Bewohner hat. Zudem plädiert er dafür, die Tiefgarage unter dem Marktplatz nur noch für Bewohner zu öffnen. Er kritisiert jedoch scharf, dass durch das Verhalten einiger Fahrer – nicht nur Poser – alle Autofahrer in einen Topf geworfen werden. Dies fördert letztlich eine autofreie Innenstadt, was eigentlich niemand aus der Szene will. „Es wird kein Unterschied gemacht zwischen Fahrern, die Rücksicht nehmen und sich richtig verhalten, und denen, die rasen, laut hupen oder nachts mit lauter Musik und offenem Dach im Kreis fahren“, sagt Hopkins abschließend.