Wer Lust auf das Flair der 20er-Jahre im Spiegel der „Neuen Sachlichkeit“ hat, kommt auf seine Kosten.1925 prägte der Mannheimer Kunsthallen-Direktor Gustav F. Hartlaub den Begriff der „Neuen Sachlichkeit“. Vom 1. September 2024 bis 9. März 2025 feiert die Kunsthalle Mannheim in einer großen Ausstellung dieses Jubiläum. Das Team der Kunsthalle hat mit 35 Partner*innen ein umfangreiches Programm zusammengestellt: mit Ausstellungen, Konzerten, Architekturführungen, Vorträgen über Geschichte, der geschriebenen und bislang nicht beachteten. Der Direktor der Kunsthalle, Johan Holten, sieht die Zeit der „Neuen Sachlichkeit“ auch als eine Epoche, in der es neben rauschenden Festen viel Elend gab, in einer brüchigen Gesellschaft.
Ein Gespräch mit Johan Holten über das Mannheimer Programm, über Perspektiven der 20er-Jahre, über Mannheimer Geschichte und die Aufforderung, dabei zu sein.
Wie bewerten Sie die Zeit der „Neuen Sachlichkeit“ und die 20er-Jahre?
Holten: Ich habe mich natürlich inzwischen intensiv mit der Zeit beschäftigt und Facetten gesehen, die ich vorher so nicht kannte. Die 20er waren eine brüchige Zeit, politisch instabil, mit der drohenden Inflation, den vielen krassen Umbrüchen, der gefühlten Schmach in Deutschland über den Versailler Friedensvertrag. Das zeigt sich für mich auch darin, dass der Leiter der Kunsthalle Gustav F. Hartlaub die Ausstellung mit Werken der „Neuen Sachlichkeit“ eigentlich 1923 zeigen wollte, und dann erst 1925 realisieren konnte.
Ist die „Neue Sachlichkeit“ eine Mannheimer Erfindung?
Holten: Ja das ist sie tatsächlich. Hartlaub setzte den Begriff in die Welt, um den neuen Ausdruck in der Kunst mit präzisen Strichen, pointierten Konturen und dem Blick, weg vom magischen Sehen hin zum sozialen Sehen, zu beschreiben. Allerdings wusste er damals noch nicht, dass „Neue Sachlichkeit“ später von vielen Künstlern, in der Musik, in der Architektur, in der Literatur und vor allem auch international verwendet wurde.
Das Programm ist eindrucksvoll, gibt es ein Highlight?
Holten: Ausgangspunkt ist natürlich die Ausstellung, die für die Kuratorin, Dr. Inge Herold, und unser Team sehr arbeitsintensiv war: „Die Neue Sachlichkeit – Ein Jahrhundertjubiläum“ in der Kunsthalle Mannheim. Sie wird am 21. November eröffnet. Wir werden 230 Werke zeigen. Enthalten sind viele Leihgaben aus aller Welt, aber auch Werke der Kunsthalle. Zwei davon gehörten einst der Kunsthalle, gingen dann im Nationalsozialismus dem Museum durch Beschlagnahmung verloren und kehren jetzt wieder temporär zurück. Zudem können wir als Beispiele internationaler Kunst Werke aus den USA von Edward Hopper und Georgia O’Keeffe zeigen.
Welche Perspektiven greifen Sie in der Ausstellung auf?
Holten: Wie eingangs gesagt, beschäftigen wir uns nicht nur mit den faszinierenden Seiten der „Neuen Sachlichkeit“. Wir zeigen auch, wie sich Maler im Nationalsozialismus angepasst haben oder eben auch Deutschland verließen. Ein anderes Kapitel widmen wir den Künstlerinnen der „Neuen Sachlichkeit“, die 1925 bei der ersten Ausstellung schlichtweg nicht vorkamen, wie zum Beispiel Lotte Laserstein oder Anita Rée. Wir zeigen Originale wieder entdeckter Malerinnen der 1920er-Jahre.
Im Altbau der Kunsthalle wagen wir ein Experiment und werden mit digitalen Bildern die Geschichte der vielen verlorengegangenen Bilder emotional vermitteln.
„Mannheim feiert!“ – eine Aufforderung?
Holten: Ja, das ist es auf jeden Fall. Es ist nicht schwer für die Gäste, mit dabei zu sein. Es ist bemerkenswert, wie schnell Viele das Thema aufgegriffen haben, angefangen von den Reiss-Engelhorn-Museen, dem Nationaltheater, dem Capitol, der Abendakademie oder dem Leibnitz-Institut für Deutsche Sprache bis hin zum Marchivum oder dem Verein Industrie-Kultur-Rhein-Neckar e.V. das Thema aufgegriffen haben und über die gesamte Dauer der Hauptausstellung Führungen, Vorträge, Ausstellungen, Konzerte, Partys oder Lesungen anbieten, die sich mit der „Neuen Sachlichkeit“ beschäftigen. Es ist ein tolles und wirklich vielfältiges Programm, und wir wollen alle einladen.
Das Dabeisein ist auch ein Bekenntnis zu Mannheim. Wir wünschen uns natürlich eine große Reichweite und weitere Menschen, die wie unsere Mitorganisator*innen und die Partnernetzwerksmitglieder von Stadtmarketing und Engelhorn die Werbetrommel rühren.
Welche Hoffnung verbinden Sie mit der Ausstellung?
Holten: Zum einen, dass wir mit ganz, ganz vielen Menschen Mannheim und seine Geschichte feiern. Viele Gruppenführungen sind bereits gebucht. Es ist auch mein Wunsch, dass solch ein Programm zum Nachdenken anregt. Dafür eignen sich die 1920er-Jahre ganz besonders. Wir wollen feiern und mit unserem spannende Parallelen aufweisen.
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Informationen zum Programm gibt es hier www.1920er.art